Hanelsblatt



Der Aufschwung in der schönen neuen Welt

"Aber wo existierte dieses Wissen? Nur in seinem eigenen Bewusstsein, das ohnehin bald ausgelöscht werden würde. Und wenn alle anderen, die von der Partei oktroyierte Lüge akzeptierten - wenn alle Berichte gleich lauteten -, dann ging die Lüge in die Geschichte ein und wurde Wahrheit. `Wer die Vergangenheit kontrolliert´, lautete die Parteiparole, `kontrolliert die Zukunft, wer die Gegenwart kontrolliert, kontrolliert die Vergangenheit´. Und doch war die Vergangenheit, so veränderbar sie ihrer Natur nach war, nie verändert worden. Was jetzt wahr war, blieb wahr für alle Zeiten. Es war ganz einfach. Es erforderte nichts weiter als eine nicht abreißende Siegesserie über die eigene Erinnerung."

aus "1984" von George Orwell

Quelle:www.arbeiterfotografie.com

Es war nun endlich an der Zeit den ewig meckernden Bundesbürgern klar zu belegen, dass der Aufschwung eingesetzt hat. Die Politik, die nicht verantwortlich ist, wenn erschreckende Zahlen und Fakten verkündet werden, hat sich selbst gefeiert. Der Aufschwung war da und ist da und scheint schon wieder ein Ende zu nehmen. Aber das Glück über diese paradiesischen Zustände wird verbreitet wie Birkenpollen im Frühling. Die selbsternannten Macher dieses Glückes, die Regierenden, lesen voller Stolz aus Statistiken, Erhebungen und Tabellen vor und bilden ihre Wahrnehmung der Realität ab als sei es die Lebenswirklichkeit der Menschen, die eine gefühlte Verwahrlosung, eine Verarmung der Gesellschaft, eine Verrohung des Miteinanders und eine völlige Verwirrung, ob der verlautbarten Ruhmesmeldungen, erkennen.

Der Geist ist tot

Die schöne neue Welt wird den europäischen Befehlsempfängern via Massenmedien ins Gehirn gepierct und sie dürfen fähnchenschenkend auf public-viewing-Veranstaltungen ihr Geborgensein im Nirvana herausbrüllen. Der Geist ist tot, es lebe das "Scheiß-drauf-Gefühl" im Hier und Jetzt. Da lächelt die Kanzlerin und lobt den Jogi und seine Rumpelkicker. Nein, ein Mindestlohn, geschweige denn ein Bürgergeld für die Gepiercten kommt nicht in Frage. Sie dürfen ihre Fähnchen schwenken und dumm sein. Nein, wir wollen keinen Mindestlohn, wir wollen es uns doch nicht mit den Zumwinkels und den Piëchs und den Ackermanns verderben, die dafür sorgen, dass die Gepiercten ihre Arbeit verlieren, aber immerhin Stellen schaffen, die unterhalb des Existenzminimums bezahlt werden. Das ist eine große Leistung, die dementsprechend honoriert werden muss. Und diejenigen global-players, die Firmen und Arbeitsplätzchen auf den Müllhaufen werfen, müssen für ihre honorige, wichtige und zeitaufwändige Arbeit natürlich fürstlich entlohnt werden.

Porschechef Wendelin Wiedeking hat im vergangenen Jahr täglich etwa 191780 Euro verdient. Nein, das ist nicht der Jahreslohn, nicht der Monatslohn, nicht der Wochenlohn, es ist der Tageslohn für jemanden, der die flotten Arbeitsplatzbeseitiger in schicke Flitzer setzt, um ihre Dynamik auch nach außen hin sichtbar zu machen.


Wo sind denn die ehemals Arbeitslosen hin? Für Arbeitslager ist es - rein historisch gesehen - noch zu früh. Auf sowas will sich noch kein Politiker einlassen. Und auch für die deutschen Wirtschaftsbosse ist diese recht grobe Idee momentan kein Thema. Derartige Lager dümpeln noch zu sehr im Bewusstsein der Welt. Da musste also etwas anderes her. Das ALG II. Es ermöglicht, die für die Leistungsgesellschaft unnützen Individuen in Arbeit zu bringen, sie von der Wirtschaft zu Hungerlöhnen anzustellen, sie aus der Arbeitslosenstatistik zu entfernen und ihnen aus der Staatskasse das Gehalt aufzustocken, um das schlechte Gewissen der Gesellschaftskrüppel nicht erlahmen zu lassen; und vor allem um die in Arbeit befindlichen ohne Leistungsanspruch gegen dieselben aufzubringen. Das funktioniert richtig gut.
"Und das war? Spitze!" Das Dalli, Dalli gehört ganz allein den Arbeitsplätzcheninhabern. Sie sollen arbeiten und fleißig sein und pünktlich sein und keine Fragen stellen und den Mund halten und ihre Fähnchen schwenken und wenigstens dumm tun.

Die Arbeitslosenzahlen sind mittlerweile auf etwas über drei Millionen gesunken. Die Große Koalition ist ein einziges Erfolgsmiteinander. Unter der besonnenen Führung von Frau Merkel ist selbst die Vollbeschäftigung schon im Munde einiger Wirtschaftsexperten, die ihre orgiastischen Erfolgsnachrichten in die Welt orakeln. Das kann so manch einer gar nicht glauben, dass die Arbeitslosenzahlen derart rapide gesunken sind. Die neue Welt ist eben schön, daran müssen wir uns gewöhnen.

Billiglohn macht frei

Die Arbeitslosigkeit hat also abgenommen, weil die Löhne in den Keller gegangen sind und weil es ein staatliches System gibt, das Lohndumping mit heroischem Lächeln unterstützt. Denn das Lohndumping senkt die Arbeitslosenzahlen. Und wenn auch nur ein Irregeleiteter auf die unselige Idee kommt, der Wirtschaft vorzuwerfen, sie würde nicht genug bezahlen, dann müssen unsere Ohren sich auf ein gar fürchterliches Gezeter einstellen. Die von ihrer nationalen Verantwortung tief durchdrungenen Vertreter der Wirtschaft, benötigen die jährliche Maximierung ihrer Profite, um im globalen Kontext wettbewerbsfähig zu bleiben. Natürlich ist es notwendig, die Produktion ins Ausland zu verlagern, um die Kosten zu senken und auch den dortigen Menschen das wahre Heil der Globalisierung zukommen zu lassen. Denn in den Ländern, in denen die von größter sozialer Kompetenz beseelten deutschen Unternehmen ansässig geworden sind, sind weder lästige Arbeitsschutzbestimmungen noch Gewerkschaften zugelassen. Der freie Markt kann sich dort am besten entfalten und trägt dazu bei, die Profite dieser Unternehmen stetig zu steigern. Auch der Kinderarbeit wird dort konsequenterweise großer Raum zuerkannt. Das wissen die wichtigen Menschen in den Vorstandsetagen der Unternehmen selbstredend. Es ist den geschäftigen Mangagern aber nicht zuzumuten, dass sie sich auch noch um derartige Randerscheinungen kümmern und möglichst ihre so wertvolle Zeit damit vergeuden, der unseligen Fragerei in Deutschland zu erliegen. Glücklicherweise wurde diese nicht marktorientierte Fragerei in Deutschland, Europa und anderswo mittlerweile stillschweigend eingestellt. Denn - und da bewahrheitet sich wieder einmal unserer aller altes Sprichwort - was ich nicht weiß, macht mich nicht heiß.

Physische Maßregelung macht Kinder aus fernen Ländern konzentrierter

So sind die ehemals asozialen kleinen Bälger in China oder Indien zumeist in 10 bis 16 Stundenschichten mit sinnvoller Handarbeit beschäftigt, die nicht nur ihre Kreativität fördert, sondern ihnen täglich ein paar Cent einbringt. Das führt zu dem Ergebnis, dass sie dazu beitragen, dass ihre Familien am Abend eine Schüssel Reis zur Verfügung haben. Und, was noch viel wichtiger ist, die deutschen Kinder können Spielzeuge zu einem Preis kaufen, der ohne die ehrgeizigen Altersgenossinnen und Altersgenossen aus fernen Ländern, wesentlich höher zu veranschlagen wäre. Die schöne neue Welt ist einfach schön und gut. Denn das ist doch wahre Solidarität. Die Eltern in Deutschland haben mehr Zeit für ihre Kinder, weil sie arbeitslos werden und die Kinder in Billiglohnländern dürfen in ganztägiger Gruppenarbeit ihre Freizeit sinnvoll gestalten.
Es gibt immer irgendwelche Besserwisser, die diese für alle so harmonische Situation schlechtreden wollen. Aber dass die arbeitssamen Kinder in bestimmten Fällen eine starke Hand brauchen, um ihre Konzentration nicht zu verlieren, dürfte klar sein. Und es ist zu beobachten, dass eine wohldosierte physische Maßregelung manchmal Wunder wirkt. Das ist ja leider in unserem Kulturkreis fast gänzlich auf dem Rückzug. So können auch wir wichtiges lernen, was das menschliche Miteinander angeht.

Geistesminimierung als Voraussetzung für zukünftige gesellschaftliche Realitäten

Die Politikerkaste ist in ihrer Affinität zu den globalen Wirtschaftmogulen recht lenkbar. Denn den Kontakt mit dem gemeinen Volk erspart sich der gewiefte Politprofi; zumindest außerhalb der Wahlkampfzeit. Schließlich geht es ihm um seine Wiederwahl und nicht darum, das medial amerikanisierte Volk - man könnte hier auch von einer leichten geistigen Beschränktheit sprechen - auf dumme Gedanken zu bringen.
Und letztlich ist es die Massennachricht, die aus den Sprechblasenbatterien der Medienindustrie in die verwirrten Köpfe der Durchschnittsbürger gelangt und ihre Wirkung tut. Alles ist ruhig, obwohl die Scheiße dampft, dass es einem den Atem nimmt.
Kinderarmut passt übrigens ganz und gar nicht in dieses paradiesische Bild der Massenhypnose. Die Kinderarmut hat allerdings mittlerweile dermaßen großen Stellenwert in der schönen neuen Welt, dass alles getan werden muss, um diese Kollateralschäden in einem positiverem Sinne zu sehen. Denn - das wollen wir doch einmal in den Vordergrund rücken - die armen Kinder von heute sind die potentiellen Empfänger staatlicher Leistungen von morgen. Insofern ist die Ernährungs-, Bildungs- und Geistesminimierung der kleinen Menschen von heute durchaus als ein langsames Heranführen an zukünftige gesellschaftliche Realitäten zu interpretieren. Wenn mittel- bis langfristig die staatlichen Leistungen gekürzt bzw. eingestellt werden, dann sind die minderernährten und schlecht qualifizierten Kinder von heute schon auf ihre Rolle programmiert. Das erspart dem globalen Gewinnmaximierungssystem zukünftige Empörungsszenarien. Dazu gehört auch die in diesem Sinne sehr postive Entwicklung der jungen Menschen, sich durch den übermäßigen Konsum von Alkohlol oder Drogen ihrer überflüssigen Gehirnzellen zu entledigen. Das kurbelt nicht nur die Wirtschaft an, es führt vor allem dazu, dass junge Menschen, für die leider kein Platz in der Leistungsgesellschaft vorhanden ist, frühzeitig ein Selbstverständnis erfahren, das ihren kommenden Aufgaben entspricht.
Willkommen in der schönen neuen Welt!

mh

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